Neue Technologie lässt das Herz auch ausserhalb des Körpers weiter schlagen
Etwa 3-mal mehr Menschen warten in der Schweiz auf ein Spendeorgan, als effektiv transplantiert werden. Dieses Verhältnis unterstreicht den immensen Wert jedes gespendeten Organs. Umso bedeutender sind technische Innovationen, die die Erfolge der Transplantation unterstützen.
In der Ausgabe Nr. 46 des Magazins hat Prof. Philipp Dutkowski, Leiter Abdominale Transplantationschirurgie am Universitätsspital Zürich, bereits über die Organperfusion bei Leber und Niere berichtet. Im vorliegenden Beitrag legen wir den Fokus auf die Ex-vivo-Perfusion beim Herz mit einem OCS-System, das das gespendete Herz während des Transports ständig mit warmem, oxygeniertem Blut versorgt.
Prof. Dr. med. Piergiorgio Tozzi
Herzchirurgie, Centre hospitalier universitaire vaudois, Lausanne
Verlängerte Ischämiezeiten von Allotransplantaten bei Herztransplantationen gehen mit einer besonders schlechten Überlebensrate einher, insbesondere bei älteren Spenderinnen und Spendern. Eine neu entwickelte Technologie, die unter der Bezeichnung Ex-vivo-Maschinenperfusion bekannt ist, ermöglicht es, Spendeherzen während des Transports ausserhalb des Körpers über grössere Entfernungen zu konservieren und erlaubt eine qualitative Beurteilung des Spendeorgans. Das TransMedics® Organ Care System (OCS) imitiert Lebendbedingungen anstelle einer kalten Lagerung, wobei das Herz bei einer Umgebungstemperatur von 34 °C aufbewahrt wird und es weiterschlagen lässt.
Bei dem OCS handelt es sich um eine hoch entwickelte, transportable Plattform, die ein entnommenes Herz mit warmem und mit sauerstoff- und nährstoff-angereichertem Spendeblut perfundiert (sprich durchblutet). Dieses transportable, normotherme Herzperfusionssystem setzt sich aus einem organspezifischen Perfusionssystem und einem drahtlosen Monitor (der Konsole) zusammen. Die wiederverwendbare Konsole bildet das Gehäuse für die Hardware, die die Komponenten zum Antreiben und Überwachen des Herzperfusionsgeräts enthalten. Das Herzperfusionsgerät wiederum besteht aus einem biokompatiblen Einweggerät, das zum Perfundieren und Überwachen des Spendeherzens dient. Zur Vorbereitung der Maschine werden im Rahmen der Organentnahme der Spenderin/dem Spender 1.2 bis 1.5 Liter Spendeblut entnommen. Anschliessend durchläuft dieses Blut einen Leukozytenfilter und wird in den Pumpvorratsbehälter gefüllt, zusammen mit 500 Milliliter einer proprietären Vorbereitungslösung, die isotonische Elektrolyte, Aminosäuren, Dextrose-Insulin, Mannitol, Vitamine, Steroide und niedrig dosiertes Adenosin enthält. Diese Lösung wird umgewälzt und hält damit einen Koronarkreislauf innerhalb eines Sollbereichs von650 bis 850 Milliliter/Minute aufrecht. Ein interner Gasvorrat mit Pulssystem sorgt für eine Anreicherung des umgewälzten Bluts mit Sauerstoff.
Nach kurzer Vorbereitung des Herzens wird die Aorta der Spenderin/des Spenders mit der Perfusionskanüle verbunden. Eine zweite Kanüle wird in die Pulmonalarterie eingesetzt und sowohl die obere als auch die untere Hohlvene werden verschlossen. In die linke Herzkammer (LV) wird über den offenen linken Vorhof eine Entlüftung eingesetzt, um eine Weitung der Herzkammer vorzubeugen. Nachdem das Spendeherz in das Perfusionssystem eingesetzt ist, werden ventrikuläre Schrittmacherdrähte angebracht. In Abwesenheit eines spontanen Sinusrhythmus erfordert das Herz gegebenenfalls eine Defibrillation oder Anregung mit 80 bis 90 Schlägen pro Minute, soweit nicht der intrinsische Rhythmus schneller ist.
Die Pulspumpe versorgt die aufsteigende Aorta mit sauerstoffangereichertem Blut aus dem Vorratsbehälter und der Perfusionsdruck wird zwischen 65 und 90 mmHg gehalten. Der Verschluss der zuständigen Aortenklappe gewährleistet eine antegrade Herzperfusion. Der koronarvenöse Rückfluss in den rechten Vorhof wird dann von der rechten Herzkammer über die Rückflusskanüle der Pulmonalarterie durch einen Membranoxygenator mit geringem Widerstand in den Vorratsbehälter ausgestossen. Somit schlägt das Spendeherz während der Perfusion weiter, jedoch ist die linke Herzkammer gänzlich lastfrei und befindet sich demnach in einem Ruhezustand ohne Ausstossaktivität. In diesem Zustand kann die Funktion der linken Herzkammer nicht beurteilt werden. Die myokardiale Vitalität wird anhand der Laktatkonzentration im Perfusat und der verschiedenen Laktatkonzentrationen im Koronarvaskularbett bestimmt. Derzeit werden im klinischen Gebrauch eine Laktatgesamtkonzentration von unter 5 mmol/Liter und der Nachweis einer myokardialen Laktatextraktion (Laktat in der Koronararterie > Laktat in der Koronarvene) als Parameter für die Bestimmung der myokardialen Vitalität herangezogen. Das System sorgt für eine kontinuierliche Überwachung des Aortendrucks und der koronaren Durchblutung.
Der Einsatz des OCS bietet Möglichkeiten, die Vitalität von Organen einzuschätzen, die früher verworfen wurden und diese über grössere Entfernungen zu transportieren (Ischämiezeit über 4 Stunden), und damit Herzen für die die Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD) zu nutzen.
Bei der DCD-Herztransplantation stellen sich einige klinische Herausforderungen: die Gefahr einer physiologischen Schädigung aufgrund der warmen Ischämie (mangelnde Durchblutung) während des Herz-Stillstands, die Herausforderung, das Herz erfolgreich zu reanimieren und die Notwendigkeit, seine Vitalität (strukturell und funktional) vor der Transplantation zu beurteilen. Aus diesen Gründen werden DCD-Herzen in vielen Ländern derzeit nicht für klinische Transplantationen verwendet.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass mit DCD-Herzen, die maximal 30 Minuten warmer Ischämie unterworfen waren und anschliessend im OCS reanimiert wurden, eine Wiederherstellung und erfolgreiche Transplantation möglich ist.
Daneben ist davon auszugehen, dass durch die Erweiterung des bestehenden Spendepools der Bedarf an Herzunterstützungsgeräten zur Überbrückung der Entnahme bis zur Transplantation verringert werden kann.
In einer prospektiven, multizentrischen, randomisierten Studie (PROCEEDE II) zeigte die OCS-Gruppe eine mittlere körperexterne Zeit von 324 Minuten gegenüber 195 Minuten der Gruppe mit standardmässiger kalter Lagerung. Hinsichtlich der Überlebensrate und des primären Transplantatversagens bestand zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied.
Die Beurteilung des myokardialen Laktatstoffwechsels, wie sie auf der Transmedics OCS-Plattform zur Anwendung kommt, entspricht diesem Stoffwechselerfordernis. Darüber hinaus helfen wiederholte Messungen im Verlauf der Zeit, die Vitalität zu bestätigen, bevor der chirurgische Eingriff bei der Organempfängerin oder beim Organempfänger eingeleitet wird. Dieses System findet zurzeit in mehreren europäischen Ländern, etwa Vereinigtes Königreich, Italien, Frankreich, Österreich, Deutschland und Dänemark sowie in Australien und den USA Verwendung.
Die grössten Hindernisse, die dem Einsatz des TransMedics® OCS entgegenstanden, waren bisher die Komplexität der Maschine und das Erfordernis technischen Fachwissens, um das Gerät bedienen zu können, der Bedarf von 1.5 Liter Spendeblut, um den Ex-vivo-Kreislauf vorzubereiten, die zusätzlichen logistischen Anforderungen beim Transport des Geräts zum und vom spendenden Spital und die Kosten. Um diese Einschränkungen zu überwinden und unseren Patientinnen und Patienten eine grössere Chance zu geben, ein Organ zu empfangen, haben wir die entsprechenden Erörterungen bei der Swisstransplant Heart Working Group (STAH) angestossen und beschlossen, ab 2022 das OCS bei Spenden nach Herz-Kreislauf-Stillstand zu verwenden. Ein DCD-Herzentnahme-Team wurde aufgestellt, dem erfahrene Herzchirurgen, Medizinerinnen und Kardiotechniker mit langer Perfusionserfahrung aller drei Schweizer Herztransplantationszentren angehören (Bern, Lausanne, Zürich). Dieses Team erhält eine gezielte Schulung speziell in Entnahmeverfahren bei postmortalen Modellen und wird durch TransMedics® für die Arbeit mit dem OCS zertifiziert. Swisstransplant hat eine OCS-Maschine erworben, die ihren Standort am Inselspital Bern hat. Bei Bedarf organisiert Swisstransplant den Transport zum Spendezentrum mit den geeignetsten Transportmitteln.
Eine weitere Einschränkung liegt offenbar in dem erhöhten Aufwand an mechanischer Unterstützung innerhalb der frühen postoperativen Phase, wenn das OCS bei DCD-Spendeherzen eingesetzt wird. Entsprechende Hinweise ergab die Studie von Dr. Messer, wobei eine grössere Zahl von Empfängern eines DCD-Herzens erhebliche mechanische Unterstützung (d. h. VAD oder ECMO) in der frühen postoperativen Phase benötigten als Empfänger eines DBD-Herzens (Verhältnis vier zu eins).
Da wir für das erste Jahr von einer Anzahl von 5 bis 10 Herzen von DCD-Spenderinnen und -Spendern ausgehen, wird jedes Transplantationszentrum wenigstens dreimal jährlich Auffrischungskurse für die Teammitglieder hinsichtlich des Entnahmeprozesses und der Arbeit mit dem OCS veranstalten, um sie fachlich auf Stand zu halten.
Zukünftig wird es möglich sein, das Spendeherz auf dem Gerät zu behandeln oder zu optimieren, bevor die Transplantation erfolgt. Damit können künftig Bioengineering-Technologien wie der Einsatz von mesenchymalen Stammzellen, der Transport mittels viraler Vektoren in der Gentherapie sowie alternative Geräte das Gebiet der Ex-vivo-Maschinenperfusion ausdehnen.
Die Ex-vivo-Maschinenperfusion des Spendeherzens in dem Zeitraum zwischen Entnahme und Transplantation bietet vielfältige potenzielle Vorteile. Hierzu zählen:
- die Wiederherstellung der Sauerstoff-, Nährstoffversorgung und Verhinderung weiterer ischämischer Belastungen des Herzens;
- die Entfernung von Stoffwechselprodukten und potenziell toxischen Nebenprodukten;
- die Möglichkeit der Verabreichung von Zytoprotektiva und Immunmodulatoren;
- die Möglichkeit einer Beurteilung der metabolischen und/oder funktionalen Vitalität des Spendeherzens, um die Eignung zur Transplantation festzustellen;
- eine längere Zeitspanne «ausserhalb des Körpers», was eine höhere logistische Flexibilität bei der Planung von Eingriffen bei der Organspenderin oder beim Organempfänger ermöglicht und dem transplantierenden Chirurgenteam mehr Zeit gibt, das empfängereigene Herz zu entfernen, insbesondere bei Empfängern, die bereits zahlreiche herzchirurgische Eingriffe hinter sich haben (z. B. solche, die die Explantation eines Herzunterstützungsgeräts erforderten
- und eine verringerte Dysfunktions- und Versagenshäufigkeit des Transplantats.
Text: Prof. Piergiorgio Tozzi
Referenzen
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Prof. Dr. med. Piergiorgio Tozzi
Chefarzt, Abteilung für Herzchirurgie, Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV)
Professor Piergiorgio Tozzi arbeitet am Centre hospitalier universitaire vaudois in Lausanne, School of Medicine (CHUV-UNIL), Schweiz, als Herzchirurg, Professor für Herzchirurgie und Leiter der Plattform für experimentelle chirurgische Forschung und Lehre (PERCE). Gleichzeitig ist er seit 2010 Mitglied der STAH-Swisstransplant Heart Working Group und Vorstand der Swiss Society for Cardiac and Vascular Thoracic Surgery (SGHC/SSCC) und wurde kürzlich in die Taskforce für translationale Forschung der European Association for Thoracic and Cardiac Surgery (EACTS) berufen. Er führt seit 15 Jahren Herztransplantationen durch und der Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit liegt primär im Bereich Herzversagen im Endstadium und Kunstherzen, jedoch auch in neuartigen Geräten für Mitralklappenreparatur ebenso wie in neuartigen Fortbildungsmitteln zur Vermittlung herzchirurgischer Kenntnisse.
Ersatztherapien mittels «Bridge to transplant»
Weitere technische Innovationen dienen dazu, den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten zu stabilisieren oder zu verbessern, um eine Transplantation überhaupt erst möglich zu machen – oder eine Transplantation zu verschieben oder teilweise sogar zu umgehen. Nachfolgend finden Sie drei Beispiele für die sogenannte «Bridge to transplant».