Digitalisierung verschlankt den Prozess bei der Organspende und Transplantation
Organknappheit, Fachkräftemangel, Ressourcenpriorisierung: Die Digitalisierung hilft den involvierten Fachpersonen, den Datenaustausch im Organspendeprozess durch einen effizienteren Informationsfluss in Echtzeit zu optimieren. Damit können die Sicherheit verbessert und die Chancen auf eine erfolgreiche Transplantation erhöht werden. Wir stellen die bedeutendsten Tools von Swisstransplant vor.
Ob es «das» oder «der» Fax heisst, muss man zum Glück nicht mehr wissen. Das Gerät ist stark vom Aussterben bedroht – zu Recht. Im Organspende- und Transplantationsprozess wird heute auf modernste Technik, benutzerfreundliche Tools und sichere IT-Architektur gesetzt: Dank des optimalen Prozesses erhalten die Menschen auf der Warteliste die bestmögliche Chance auf die Zuteilung des langersehnten Spendeorgans. Das fängt mit der Erkennung von potenziellen Organspenderinnen und Organspendern an. Das Instrument, das Swisstransplant zusammen mit einem Partner für digitale Transformation und einer auf Datenschutz spezialisierten Anwaltskanzlei entwickelt hat, heisst Donor Evaluation Tool.
Mehr Organspenden dank Donor Evaluation Tool
Das Donor Evaluation Tool hilft den Intensivstationen, wenn unklar ist, ob eine versterbende Patientin oder ein versterbender Patient medizinisch überhaupt für eine Organspende in Frage kommt. Die meisten Unsicherheiten bestehen, wenn ein bösartiger Tumor, ein Infekt, hohes Alter oder Mehrfacherkrankungen vorliegen, erklärt Marcus Nauwerk, Nationaler Transplantationskoordinator und fachlicher Projektleiter Digitalisierung bei Swisstransplant. Das Tool ermöglicht die rasche Einholung einer fachlichen Einschätzung beim Medical Advisor von Swisstransplant. Die Organspendekoordinatorin oder der Organspendekoordinator befüllt im Spital online die Donor Evaluation mit wenigen Angaben zur versterbenden Person wie etwa Blutgruppe, Alter und Erkrankungen. Diese werden anonymisiert und automatisiert mit einer E-Mail-Benachrichtigung dem diensthabenden Medical Advisor von Swisstransplant zur Beurteilung zugestellt. Er prüft das Dossier, benötigt vielleicht noch weitere Angaben wie ein Laborbericht oder ein CT-Befund und gibt Antwort: Eine Organspende ist möglich oder ausgeschlossen. Der Medical Advisor hat Kenntnis über die sich stets im Wandel befindlichen medizinischen Ausschlusskriterien. Er kennt aber auch die Situation auf der nationalen Warteliste. Es gibt nur noch sehr wenige Ausschlussgründe für eine Organspende – braucht eine Patientin oder ein Patient dringend ein lebensrettendes Organ, so sind die Transplantationszentren auch bereit, gewisse Zusatzrisiken einzugehen, da sonst die Patientin oder der Patient verstirbt.
«Die Antwort ist in 10 bis 60 Minuten im Spital – je nachdem, ob die Anfrage tagsüber oder mitten in der Nacht gestellt wird», sagt Nauwerk. «Früher liefen diese Abklärungen alle über mehrere Stellen übers Telefon, jetzt geht es direkter und schneller. Wir erhalten positive Rückmeldungen von den Fachleuten», freut sich Nauwerk und fügt an, «im ersten Jahr wurden insgesamt 156 solche Anfragen bearbeitet, wovon 75 % für eine Organspende qualifizierten.» Die Vorabklärungen vereinfachten das Gespräch mit den Angehörigen, wenn die medizinischen Fakten auf dem Tisch lägen und aufgezeigt werden könne, ob eine Organspende überhaupt möglich sei. «Dabei fiel auf, dass die Ablehnungsrate der Angehörigen mit 33 % deutlich tiefer lag als die 55 %, die wir sonst schweizweit finden. Ob und inwieweit dies mit dem Donor Evaluation Tool zusammenhängt, ist unklar – es wäre aber denkbar, dass eine gezielte Anfrage für einzelne Organe auf eine bessere Akzeptanz bei den Angehörigen stösst, da der Eingriff umschriebener ist.» So konnten alleine 2022 insgesamt 60 Organspenderinnen und Organspender zusätzlich über das Organ Evaluation Tool im Swiss Organ Allocation System (SOAS) registriert werden.
Der Organspendeprozess ist dank der Digitalisierung der Daten effizienter: Die Qualität wird erhöht und die beschränkte Zeit optimal genutzt. Die Tools stehen den Prozessbeteiligten auf allen gängigen Geräten wie Handy, Tablet oder PC in Echtzeit und 2-Faktoren-geschützt zur Verfügung.
Ressourcengewinn durch Protokoll
Ein weiteres digitales Tool ist das Protokoll für die Nationalen Transplantationskoordinatoren von Swisstransplant. Im standardisierten Dokument protokollieren die 10 Mitarbeitenden alle relevanten Informationen ihrer Schnittstellenfunktion bei einer Organspende. Das erleichtert den Austausch und die Übergabe zwischen den Koordinatorinnen und Koordinatoren, beschleunigt den Prozess und reduziert die Arbeitsbelastung. «Früher umfasste das Protokoll teilweise 15 Seiten, jetzt ist alles übersichtlich, Fehlerquellen sind minimiert und die Suchfunktion ist ausgereifter», so Nauwerk.
Status-Terminal: zentrale Informationsplattform
Das Status-Terminal zeigt allen involvierten Stellen den Überblick in Echtzeit und reduziert Nachfrage-Telefonate: Dieses Tool ermöglicht es, dass alle Beteiligten den Weg von der Organspende bis zur Transplantation zeitgleich verfolgen können. Sämtliche Termine für Laborberichte, Transporte und Ischämiezeiten sind einsehbar. «Das gibt Sicherheit, räumt Missverständnisse aus und verbessert die Kommunikation untereinander», betont Nauwerk und unterstreicht die Vorreiterrolle, die die Schweiz hier innehat. Als grösste Herausforderung bezeichnet er, beim Datenschutz immer auf dem neusten Stand zu bleiben und trotzdem die einfache Handhabung für die Fachpersonen in den Spitälern und die Transportpartnerin zu gewährleisten. «Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit müssen im stressigen Umfeld einer Notfallorganisation Hand in Hand gehen, zwischen Organspende und Organtransplantation ist die Zeit sehr knapp.»
Im Status-Terminal ist auf einen Blick ersichtlich, für welche Organe der laufenden Organspenderinnen und Organspender eine passende Empfängerin oder ein passender Empfänger auf der Warteliste gefunden wurde. Weiter sieht man, welche Organe vom Ausland angeboten werden, weil dort keine Empfängerin oder kein Empfänger passt – oder umgekehrt (Weltkugel). Der Stern bedeutet, dass bei diesem Organ noch medizinische Zusatzabklärungen vorgenommen werden.
Alle Zeiten zwischen Organspende und Transplantation sind minutengenau berechnet – hier am Beispiel eines Spendeherz, das per Helikopter ins Inselspital Bern geflogen wird.
Mehr Sicherheit für alle mit GPS-Tracking
Um den Zeitplan möglichst exakt abzubilden, ist neu bei den Organtransportboxen ein GPS-Tracker angebracht. So sehen alle involvierten Fachpersonen und Transportunternehmen genau, wo sich ein Organ auf dem Weg vom Spital der spendenden Person zum Transplantationszentrum der empfangenden Person befindet. «Ein akkurates Timing gibt den Patientinnen und Patienten die bestmögliche Chance auf eine erfolgreiche Transplantation», so Nauwerk. «Das Tracking hilft, eine allfällige verkehrsbedingte Verspätung sofort aufzuzeigen, indem die voraussichtliche Ankunftszeit neu angezeigt wird. Es garantiert, die Abwicklung so rasch wie möglich zu gestalten und erspart viele Rückfragen.» Die Zieldestination kann weitere Statusinformationen wie beispielsweise die Temperatur des Spendeorgans abrufen. Ab Ankunftszeit im Transplantationszentrum ist jede Minute durchgetaktet.
Der digitalisierte Prozess optimiert die Organspende und die Transplantation, entlastet die Mitarbeitenden von Routinearbeiten und steigert die Qualität. Dabei wird der telefonische Kontakt auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen – doch der Begriff Telefonkette verschwindet definitiv aus dem aktiven Wortschatz.